Ah-cho – sprechen wir über Migration, aber ausnahmsweise ohne einseitiges Framing

«Zuhause», «fortgehen» und «ankommen» – genau in diesem Moment gehen weltweit tausende Menschen von zuhause fort, um an einem neuen, unbekannten Ort anzukommen. Einige, weil sie sich für das Abenteuer des Aufbruchs entscheiden und andere, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt.  

Täglich liest Mensch über Migration in den Medien. Je nachdem, um was für eine Art von «Fortgehen» es sich handelt, wird in einem anderen Narrativ erzählt. Meist rücken dabei weltpolitische und kulturelle Konflikte in den Vordergrund. Diese beschäftigen und begleiten die Menschheit seit sie in Bewegung ist. Doch sie machen nicht den ganzen Kuchen aus.  

Bei allen negativen Schlagzeilen und zwischenmenschlichen Reibereien gehen die Individuen vergessen. Ihre Gesichter verschwinden in Gesprächen über Bürgerkriege und Wirtschaftskrisen. Sie werden zu Stellvertretenden.  

Dabei ist Migration nicht nur zwingend eine Geschichte der Flucht, sondern viel mehr eine Geschichte der Menschheit. Die Gründe, wieso Mensch einen vertrauten Ort verlässt, könnten nicht vielschichtiger sein. Sie sind genauso individuell wie die Erfahrungen, die eine solche Reise mit sich bringt.   

Deswegen erzählen auf «ah-cho.ch» die Menschen ihre Geschichten selbst. Sie erklären, welche Gefühle, Gedanken und Erlebnisse die Worte «Zuhause», «fortgehen» und «ankommen» in ihrem Leben mit Bedeutung füllen. Frei von jeglichem Narrativ, aber mit viel Tiefgang.  

Die Webseite: www.ah-cho.ch

Digitales Geschichtenalbum

Auf «ah-cho.ch» möchten wir sammeln: Erinnerungen, Geräusche, innere Bilder, Erlebnisse, Gedanken und Gefühle. Sie alle sollen gemeinsam die so verschiedenen, aber teilweise auch ähnlichen Erfahrungen abbilden, die Menschen im Prozess des «Ankommens» an einem unbekannten Ort durchleben.

Genauso bunt wie gesammelt wird, soll auch erzählt werden. Deswegen haben wir uns für eine Webseite im Scrollytelling-Format entschieden. Multimediale Inhalte hauchen dem Text Leben ein und machen die Menschen dahinter spürbar.  

Für uns ist es wichtig, dass alle Teilnehmenden des Projekts genügend Raum erhalten, um auch wirklich zu Ende zu erzählen. Deswegen haben wir Kürzungen und Streichungen der teilweise bis in die Nacht hinein geführten Gespräche so gut es ging vermieden. Auch auf Filmaufnahmen, welche erst in einem zweiten Schritt entstandenen sind, haben wir verzichtet.

Im Zeitalter von Social-Media und möglichst rascher Informationsaufnahme, wollen wir einen Gegenpol setzen und zum Verweilen einladen.  

«ah-cho.ch» soll nach der Digezz-Abgabe nicht auf Stillstand gesetzt werden. Schön wäre es, unsere Sammlung an (Lebens-)Geschichten auszuweiten und zahlreiche neue spannende Persönlichkeiten mit an Bord begrüssen zu dürfen.

(dbo)

Idee:

Ursprünglich war ein Dokumentarfilm über die Auswirkungen der Erderwärmung auf das Forstgebiet der Gantrisch Region geplant. Der dort lebenslänglich zuständige Förster kannte das Gebiet in und auswendig. Seine Leidenschaft für den hiesigen Wald wäre unsere emotionale Verbindung, zu einer ansonsten meist sehr nüchtern erzählten Thematik geworden. Unglücklicherweise ist er, bereits von uns gegangen.

Anfangs versuchten wir noch, die Idee weiterzuverfolgen, um unsere Vorarbeit am Konzept nicht komplett verwerfen zu müssen. Die Zeit verging, ohne dass wir wirklich auf eine gute Grundlage für einen neuen spannenden Erzählansatz stiessen. Als die Zeit immer knapper wurde, kamen wir nicht darum herum nach einem Plan B zu suchen.

Trotz allem stand für uns immer noch klar fest, dass wir eine gesellschaftsrelevante Thematik ansprechen möchten.

Beim gemeinsamen Brainstorming stiessen wir auf das Thema Migration. Was bedeutet es, in einem neuen Land/einem unbekannten Ort komplett von vorne beginnen zu müssen? Welche Hindernisse und Schwierigkeiten, aber auch welche Erfolgserlebnisse und schönen Momente prägen eine solche Erfahrung? Welche Gefühle durchlebt ein Mensch auf diesem Weg? Aus welchen Gründen geht Mensch fort? Und was macht denn das “Ankommen” an einem Ort überhaupt aus?

Ziel:

Um auf all diese aufkommenden Fragen eine mögliche Antwort zu finden, schien uns der persönliche und emotionale Ansatz der beste zu sein.  Wir entschieden uns, ein digitales Erzählformat ins Leben zu rufen, dass die Menschen selbst zu Wort kommen lässt. Vielleicht könnten wir so dem einheitlichen Framings dieses Themas in den Medien gar ein bisschen Gegenwind geben.

Dies wurde so auch zum Ziel unseres Projektes: Wir möchten uns dem Thema Migration annähern, ohne in einem einseitigen Framing zu berichten.

Vorgehen und Umsetzung:

Anfrage der portraitierten Persönlichkeiten:

Von Anfang an war klar, dass wir für die Auswahl der Gesprächspartner*innen möglichst keine Ausschlusskriterien definieren wollen. Die einzige verbindende Gemeinsamkeit, sollte die Erfahrung des “Fortgehens” sein. Beim “Wieso?” und “Warum?” galt für uns – je unterschiedlicher die Beweggründe, desto besser.

Aber wie kommen die Geschichten zu uns?
Um unsere Erzähler*innen zu finden half uns vor allem das Herumfragen im Freundes- und Bekanntenkreis. Auf die Anfragen von Personen, zu denen wir keine “Beziehung” hatten, haben wir leider fast immer eine negative Antwort erhalten. Vielleicht ist dieses Thema einfach zu persönlich, um mit völlig Fremden darüber zu sprechen.

Gerne hätten wir noch mehr Menschen interviewt, um die Vielfalt besser abzudecken, die sich hinter dem Wort “Migration” verbirgt. Leider fehlte uns hier aufgrund unseres zu späten Konzept-Wechsels die Zeit. In unseren Augen bräuchte es noch mehr Geschichten, um dem Ziel von ah-cho.ch wirklich gerecht zu werden. Aber was noch nicht ist – kann ja noch werden…

Gespräche:

Damit die Gespräche für die Textelemente ohne Zeitdruck und Nervosität geführt werden konnten, wollten wir die Kamera in einem ersten Schritt noch nicht dabeihaben.
So konnten wir wirklich Zuhören und einen intimeren Raum schaffen.

Diese Entscheidung erwies sich als die richtige.
Unsere Gesprächspartner*innen gewährten uns extrem persönliche Einblicke in ihre Lebensgeschichten. Gemeinsam lachten, weinten und philosophierten wir manchmal bis spät in die Nacht hinein.

Aber so schön Nachfragen ohne Zeitlimit sein kann – Abschweifen wird dadurch natürlich umso verlockender. Und somit war es am Ende schwierig die vielen Stunden an Gesprächsstoff zusammenzuführen und in ein einheitliches Konzept einzubinden.

Hierbei halfen uns die zuvor erarbeiteten Leitfragen, die auch das Gerüst für das Erzählen auf der Webseite bilden. Da Lebensgeschichten logischerweise individuell sind, fiel es uns aber auch hier nicht leicht, die passenden Fragen zu finden. Einerseits sollten sie nach dem persönlichen Erleben forschen, um die Person im Text spürbar zu machen. Andererseits mussten sie genügend offen formuliert sein, damit jede*r sich bei der Antwort auf die eigene Lebensgeschichte beziehen konnte. Schon nachdem ersten Probedurchlauf mit einer Freundin, wurde uns klar, dass wir viel zu spezifisch unterwegs waren. Wir mussten also versuchen, von allzu biografischen Details wegzukommen und das ganze Thema ein wenig “philosophischer” angehen. Schlussendlich kam uns die Idee, der persönlichen Bedeutung der drei Begriffe “Zuhause”, “Fortgehen” und “Ankommen” auf den Grund zu gehen.

Foto- und Filmaufnahmen:

Um den Scrollytelling-Effekt zu erzielen, dürfen audiovisuelle Inhalte natürlich fehlen.
Diese haben wir an einem zweiten, separaten Datum umgesetzt.
Damit sie den aus den Gesprächen entstandenen Text unterstützen, haben wir die bei uns am meisten im Gedächtnis gebliebenen Antworten erneut abgeholt.

Das kann unter Umständen aber auch ins Auge gehen, da die Gesprächspartner*innen je nach dem den Druck verspürten, nochmals genau gleich zu antworten. Wir haben deswegen immer darauf hingewiesen, dass sie erneut einfach frei drauflosplappern dürfen. Zum Glück haben die Antworten, dann doch meistens gut auf den bereits verfassten Text gepasst oder diesen erweitert.

Wir haben uns dazu entschieden, unsere Protagonist*innen direkt in die Kamera sprechen zu lassen. Besucher*innen der Webseite sollen den Eindruck erhalten, direkt angesprochen zu werden. Das hat nicht immer ganz so gut geklappt, da es natürlich schwierig ist, so persönlich mit einer Linse zu plaudern. Zudem wurde das Schneiden der Antworten schwieriger, da eine zweite Perspektive den gewünschten Effekt durchbricht.

Webseite:

Die Webseite wurde von Grund auf (mit Hilfe von “Bootstrap”) komplett selbst programmiert. Insgesamt sind es über 5’000 Zeilen Code geworden. Eine echte Herausforderung!

Zu Beginn wollten wir die Webseite ebenfalls auf Digezz.ch hosten. Bald wurde uns aber klar, dass wir mit all den gesammelten Inhalten für das Scrollytelling-Format viel zu gross werden würden. Also haben wir uns eine eigene Domain zugelegt. Diese Entscheidung macht vor allem auch in Hinblick auf eine mögiche Weiterführung des Projektes Sinn.

Da wir allgemein durch unseren späten Konzeptwechsel unter Zeitdruck standen, wurde das Fertigstellen der Webseite eine Nacht und Nebelaktion. Selbst wenn die Grundstruktur in HTML, CSS und JS steht, dauerte das Einfügen der fertigen Inhalte viel länger, als erwartet. Das Unterschätzen des Zeitaufwandes hat uns eine Nacht Schlaf gekostet. Aber es hat sich gelohnt!

Learnings:

  • Früher auf Plan B wechseln!
  • Früher auf Plan B wechseln!
  • Früher auf Plan B wechseln!
  • Nicht gleich aufgeben, bei halbherzigen Absagen seitens der Interviewpartner*innen. –> Ewas Überzeugungs- und Motivationsarbeit kann Wunder bewirken.
  • Für solch persönliche Themen besser eine Location mit viel Privatsphäre wählen.
  • Nach stundenlangen Gesprächen, zum Schluss nochmals gemeinsam die ursprünglichen Fragen durchgehen.
    –> Zum Konzept zurückführen.
  • Von Anfang an mehr Struktur für das Sammeln verschiedener Inhalte aufsetzen.
  • Die korrekten Formate für Erinnerungsfotos oder andere Informationen, die benötigt werden, von Anfang an klarer an die Gesprächspartner*innen kommunizieren.
  • Während der Gespräche immer eine Audioaufnahme machen als Backup, falls die eigene Tippgeschwindigkeit nicht ausreicht.
    –> Das erlaubt zudem mehr Reaktion und echtes Zuhören.
  • Unterschätze nie den Zeitaufwand für das Programmieren!
    –> Auch oder ganz Besonders zum Schluss, wenn die ausgearbeiteten Inhalte in den bereits bestehenden Code eingefügt werden.
  • Scrollytelling braucht kreatives HTML + CSS, um lebendig zu werden.
    –> Zentrieren schafft zwar Übersicht, wird aber schnell langweilig.
  • Die Arbeit im Team besser aufteilen. Selbst wenn es nicht dem zuständigen Verantwortungsbereich entspricht, können einzelne kleinere Aufgaben untereinander abgegeben werden.
    –> Das eigene “Baby” in die Hände anderer geben und vertrauen.

 

Fazit:

Auch wenn es uns zu Beginn schmerzte, die für die Ursprüngliche Idee geleistete Vorarbeit in den Papierkorb zu werfen, war es die richtige Entscheidung.

Die Arbeit an ah-cho.ch war extrem bereichernd.

Sowohl auf der persönlichen, emotionalen Ebene als auch auf der professionellen.

Wir schätzen uns glücklich, all diese intensiven Gespräche mit so spannenden Persönlichkeiten geführt haben zu dürfen. Dass sie uns einen so intimen Einblick in ihre Leben gewährt haben, ist alles andere als selbstverständlich. Ihre Antworten haben uns immer wieder Anlass zur Reflektion über das eigene Leben und Gesellschaft und Kultur, in der wir leben, gegeben.

Durch die Vielfältigkeit unseres Bachelors, fehlt manchmal die Zeit, um sich in den vielen parallellaufenden Projekten zu vertiefen und Leidenschaft zu entwickeln.
Dies ist uns bei diesem Projekt trotz des selbstverschuldeten Zeitdrucks aber überhaupt nicht schwergefallen. Fast kein einziges Mal, mussten wir uns zwingen, den Laptop aufzuklappen und loszulegen. Das ist eine sehr schöne Erfahrung und hat uns wieder vor Augen geführt, wieso wir uns für dieses Studium entschieden haben.

In unseren Augen ist “Learning-by-doing» immer noch der nachhaltigste Weg, um die eigenen Kenntnisse und “Skills” auszubauen. Das hat sich im Rahmen dieses Projektes erneut gezeigt.

Sich einfach in eine Aufgabe hineinzuwerfen und draufloszulegen, schafft die Möglichkeit, die eigenen Grenzen auszutesten und aus Fehlern zu lernen.

Für das nächste Mal, möchten wir auf jeden Fall weniger stark unter Zeitdruck geraten. Ausserdem haben wir mittlerweile eine bessere Aufteilungsstruktur gefunden für die Aufgaben im Team. Auch im Führen der Gespräche, möchten wir etwas effektiver vorgehen. Auch wenn es schön ist, sich so viel Raum für ein Gespräch zu nehmen, müssen wir lernen, auch bei weniger zur Verfügung stehender Zeit, ein ähnliches Ergebnis zu erzielen.

Den wichtigsten Kritikpunkt sehen wir in der noch sehr kleinen Anzahl Portraits. Um unserem Ziel, über Migration nicht in einem einseitigen Framing zu berichten, müssen noch weitere Geschichten dazukommen. Hätten wir früher zu Plan B gewechselt, wäre das vermutlich möglich gewesen.

Für zukünftige Projekte oder auch die Weiterführung von ah-cho.ch nehmen wir also schon wieder zahlreiche neue Erkenntnisse mit.