Aufwachsen im Jahr 1940

Als ich sechs Jahre alt war, sass mein Grossvater auf der Bettkante in meinem Kinderzimmer und erzählte mir die Geschichte der drei Räuber. Das ist eine von vielen Erinnerungen aus meiner Kindheit. Rund 20 Jahre später stellte ich mir die Frage: Wie war Grossvaters Kindheit? Dadurch ist ein eindrückliches, witziges und persönliches Video über meinen Grossvater. 

Mein Grossvater musste sich das Bett mit seinem Bruder teilen. Kühlschrank, Fernseher und Telefon gab es nicht. Auf dem Bauernhof in Deitingen neben Solothurn musste ab dem sechsten Lebensjahr im Stall mitgearbeitet werden. Der Gottesdienst am Sonntag war Pflicht – morgens und abends. 

So aufzuwachsen ist heute unvorstellbar. Darum habe ich diese Erinnerungen festgehalten, damit sich auch noch meine Grosskinder ein Bild von dieser anderen Welt machen können. 

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Über drei Drehtage hinweg habe ich einen Einblick erhalten, wie es im Jahr 1940 wohl so gewesen sein muss. Dabei habe ich einiges über meinen Grossvater gelernt und erfahren, warum er heute ist, wie er ist. Aus rund 10h Videomaterial und 4 Jahren Videos aus meiner Kindheit ist ein Zeitzeugnis für mich und die kommende Generation entstanden. Dieses Projekt hat mich sehr berührt und vieles gelehrt.

Story First

Mein oberstes Ziel war es, mich auf das Storytelling zu fokussieren. Es ist egal ob das Video verwackelt oder nicht ganz scharf ist – wenn es in die Geschichte passt, spielt das keine Rolle. 

Bevor ich mit dem Schnitt in Premiere begonnen habe, erstellte ich mir eine analoge Timeline. Dafür notierte ich mir alle behandelten Themen aus dem Rohmaterial auf Post-its und ordnete sie auf einem Blatt Papier an. Dies ermöglichte es mir, mich vollkommen auf das Storytelling zu fokussieren. Erst als ich einen roten Faden inkl. Anfang/Ende gefunden hatte, erstellte ich das Projekt in Premiere. 

Narratives Interview

Die ersten beiden Drehtage fanden im Haus meines Grossvaters und auf dem alten Bauernhof statt. Nach der Sichtung des Rohmaterials stellte ich fest, dass ich zu den behandelten Themen noch weitere Aussagen und Einordnungen benötigte. 

Deswegen entschied ich mich dazu, ein Interview vor schwarzem Hintergrund zu machen. Die Zuschauenden sollen sich auf die Aussagen konzentrieren. Dabei habe ich sehr offene Fragen formuliert und meinem Grossvater Bilder oder Zitate gegeben, um seine Erinnerungen zum Leben zu erwecken.

Zwischen den Aussagen habe ich lange gewartet, damit er über die Frage und seine Antwort nachdenken konnte. Nach fünf, manchmal aber auch 10 Sekunden, hat er weitere Aussagen gemacht, die meistens noch besser waren als die erste Version. Eine nicht ganz einfache, aber sehr effektive Methode, um die bestmöglichen Antworten zu erhalten. 

Technik

Ich habe nur Material verwendet, dass ich bereits kannte und beherrschte. Da ich bis auf die zweite Kamera beim Interview alles im Alleingang managen musste, habe ich mir ein einfaches Setup zusammengestellt.

Die Canon R6 mit einem 24-70mm, Monitor, Richtmikrofon und Lavelier-Mic unter dem Pulli von Grossvater haben tolle Bilder und Ton geliefert. Beim Dreh habe ich mir zwei Regeln gesetzt: Erstens soll sich die Kamera immer auf der Schattenseite der Protagonisten befinden, und zweitens sollen alle Einstellungen mit 35mm oder 50mm gefilmt werden. Autofokus mit Augenerkennung und Bildstabilisator haben dazu beigetragen, dass ich mich auf die Personen und ihre Geschichten einlassen konnte.

(abb)

Was ein Projekt! Gleich vorneweg kann ich sagen, dass dies eines der Besten Projekte geworden ist, dass ich jemals gemacht habe. Wohl auch, weil es um ein sehr persönliches Thema geht. Wenn ich auf den Prozess zurückblicke, möchte ich die folgenden drei Punkte herausheben.

Kamera vergessen und aktiv zuhören

Ich wollte echte und authentische Bilder und Aussagen. Damit das gelingt muss der Raum drumherum stimmen. Das startet damit, dass die Technik beim Drehstart vorbereitet ist und reibungslos läuft. Verpasste Aktionen wie eine Begrüssung können nicht einfach nachgestellt werden, habe ich gemerkt.

Weiter muss ich mich auf die Protagonsten einlassen können. Das heisst mich nicht hinter der Kamera zu verstecken, sondern Augenkontakt zu halten, aktiv zuhören und Interesse zeigen. Beim Schnitt habe ich bemerkt, dass jene Antworten auf situative Fragen von mir, die Besten waren. Dies ist mir nicht immer gelungen, manchmal bin ich auf die relevanten Themen nicht eingegangen oder habe zu früh unterbrochen.

B-Roll

Ein Video mit einer Länge von fast 16 min benötigt genügend ruhige Bilder, die den Zuschauenden Platz lassen, über das soeben Gehörte nachzudenken. Gerade vom Bauernhof habe ich zu wenige oder zu kurze B-Roll Einstellungen gemacht. Für ein nächstes Mal werde ich mir mehr Zeit einplanen, um ausreichend passende Einstellungen zu filmen.

«Dem nachgehen, was dich interessiert und berührt.»

Ein Rat von meiner Gotte, welche viel Erfahrung von der Arbeit beim SRF und als Videobiografin hat. Sie hat mir geraten, ganz intuitiv jenen Themen auf den Grund zu gehen die mich interessieren. Die Geschichte benötigt Emotionen. Im Schnitt ist es deshalb besonders wichtig sich auf sein Gefühl zu verlassen und jenen Themen zu Platz geben, die einem selbst berühren.

Zu Beginn habe ich mich zu wenig darangehalten. Meine Geschichte wirkte konstruiert und animierte nicht zum Weiterschauen. Ein gutes Ende habe ich ebenfalls nicht gefunden. Erst als ich mich auf die ausgelösten Emotionen konzentrierte, habe ich die wirklich guten und passenden Stellen gefunden. Besonders hilfreich war dies beim Schnitt der letzten Minute des Videos.