Darstellung von Menschen auf der Flucht im Dokumentarfilm
Es gilt als eine der grundlegenden Aufgaben von Medienschaffenden, zu denen sich auch Dokumentarfilmer:innen zählen, unwürdige oder prekäre Verhältnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Meine Bachelorthesis befasst sich mit möglichen Strategien des dokumentarischen Films, um Menschen auf der Flucht würdig abzubilden und trotzdem auf Missstände aufmerksam machen zu können. Bis zu welchem Grad ist es legitim oder sogar notwendig, Menschen in heiklen oder gar entwürdigenden Situationen zu zeigen? Bedarf es bei einer Darstellung von Menschen auf der Flucht immer der expliziten Zustimmung der Abgebildeten, um sie filmen zu dürfen? Und was rechtfertigt eine Abbildung ohne diese Zustimmung?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, habe ich Einzelinterviews mit Medienschaffenden und geflüchteten Menschen geführt und ihnen fünf Sequenzen aus Dokumentarfilmen über Migration zur Beurteilung abgespielt. Dabei hat sich gezeigt, dass es keine grundsätzlichen Anwendungsprinzipien für eine würdige Darstellung von Menschen auf der Flucht gibt. Es gilt jede Abbildung unter Berücksichtigung der vorherrschenden Situation, des Gesamtkontextes des Dokumentarfilmes und der Narration der gezeigten Situation zu beurteilen.
Zusammenfassend kann ausgeführt werden, dass eine würdige Dokumentation von Migration das Bemühen um eine faire Begegnung mit den dargestellten Menschen auf Augenhöhe bedarf. Das kann erreicht werden, indem man die abgebildeten Menschen nach ihrem Einverständnis fragt, gefilmt zu werden. Weiter kann versucht werden, die Menschen im weiteren Verlauf des filmischen Prozesses zu begleiten und sie möglicherweise in einer aktiveren Rolle abzubilden und zu Wort kommen zu lassen, um sie vom handlungsunfähigen Objekt wieder zum Subjekt ihres menschlichen Seins werden zu lassen. Falls das aufgrund der herrschenden Umstände oder aufgrund des Gesundheitszustandes der dargestellten Personen nicht möglich ist, erscheint eine Weiterverwendung des filmischen Materials als vertretbar, wenn es sich bei der abgebildeten Situation um ein historisches Zeitdokument handelt, dessen Publikation durch ein überwiegendes Interesse der breiten Öffentlichkeit legitimiert werden könnte. Kameraleute müssen in der Situation sehr schnelle Entscheide treffen, weshalb viele Entscheidungen über die ethische Legitimität einer Aufnahme im Schnitt getroffen werden müssen. Dort gilt es mit grosser Sorgfalt und Rücksichtnahme auf die gefilmten Menschen zu entscheiden. Stets im vollen Bewusstsein, dass es Menschen mit Geschichten, Hoffnungen und Wünschen sind, die man in einer Situation ihres Lebens medial abzubilden versucht.
Als Projekt habe ich zusammen mit Milena Burch eine Kurzdokumentation über geflüchtete Frauen in der Schweiz umgesetzt. Zwei Syrerinnen geben Einblick in ihren Alltag und erzählen von Hürden im Schweizer Integrationsprozess und von ihrem Wunsch nach einem normalen Leben. Sie schildern frauenspezifische Probleme im Asylverfahren und gehen auf kulturell bedingte Konflikte mit ihren Männern ein. Meyada und Baeazi zeigen, was es bedeutet, in der Schweiz noch einmal von vorne anzufangen.