Der Handtaschendieb: Die Fotostory in einer heilpädagogischen Schule
Was ist ein Krimi? Um diese Frage drehte sich dieses Semester der Unterricht einer heilpädagogischen Oberstufenklasse in Ostermundigen –mit dem Ziel, Ende des Schuljahres selbst einen produziert zu haben.
Meine Mutter unterrichtet seit mehreren Jahren die HPS Klassen in Ostermundigen. Obwohl offiziell Kochen und Handarbeit auf ihrem Stundenplan stehen, ist im Unterricht Platz für weit mehr als das.
In einer heilpädagogischen Klasse sind im Schnitt weniger SchülerInnen als in einer regulären Schulklasse. Die Schüler haben unterschiedliche Fähigkeiten und Einschränkungen und der Unterricht zielt nicht direkt auf die Lehrstellensuche oder eine weiterführende Schule ab, wie dies in regulären Oberstufenklassen der Fall ist.
Wichtiger ist eine individuelle Förderung der SchülerInnen und ihrer Fähigkeiten. Dadurch bietet sich die Möglichkeit, den Unterricht freier zu gestalten und Projekte umzusetzen, für die in einer Sekundarklasse oft kein Platz ist.
Ein solches Projekt ist der Klassenkrimi der HPS in Ostermundigen. Die Idee, mit ihrer Klasse eine Fotostory umzusetzen, hatte meine Mutter schon lange. Umgesetzt haben wir sie nun dieses Semester.
Das Ergebnis kann ich euch leider aus zwei Gründen (noch) nicht zeigen. Einerseits ist das Schuljahr noch nicht vorbei und die Klasse arbeitet noch an den letzten Fotos. Andererseits sind die SchülerInnen natürlich minderjährig und eine Veröffentlichung ihrer Fotos wäre mir auch in diesem Rahmen nicht recht.
Was ich euch aber zeigen kann, ist der Entstehungsprozess des Krimis. Denn auch an der Geschichte waren die Schüler natürlich beteiligt. Zuerst machten sie sich Gedanken über die Fragen: Was ist ein Krimi überhaupt? Was kommt darin vor? Was passiert?
Welches «Verbrechen» kann man Teenagern zumuten? Was lässt sich in Fotos darstellen? Und wer übernimmt welche Rolle? Um diese Fragen zu beantworten, setzten meine Mutter und ich uns zusammen und skizzierten grob die Story und die benötigten Rollen.
Zwei Jungs wollten gerne Dönermänner sein. Also haben sie sich eine Fotomöglichkeit bei einem nahen Dönerladen verschafft.
Nun aber zur Story, wie meine Mutter sie mit den Schülern aufgeschrieben hat:
A. als Bandenboss regiert die ganze Stadt.
Er befiehlt J. ein Handy zu klauen, damit dieser dann auch zur Bande gehört.
J. stiehlt die Handtasche von S.
S. schreit um Hilfe.
N. und U., die Besitzer des Dönerladens, hören das und wollen S. helfen.
Sie rufen die Polizei.
Z. und I. stehlen in der Zwischenzeit die Kasse aus dem Dönerladen.
N. und U. können dem Polizisten M. und seinem Helfer R. den Täter beschreiben und zeichnen sogar ein Phantombild.
Die Polizei verdächtigt J.
Sie findet ihm beim Fussballplatz.
Es stellt sich aber heraus, dass das gar nicht J. ist, sondern sein Zwillingsbruder Jo.
N. und U. sehen beim Fussballplatz Z. und I. Sie kennen die beiden vom Laden vorhin.
Z. und I. helfen der Polizei, den richtigen Täter zu finden.
Sie wollen dafür aber keine Strafe für den Diebstahl des Geldes bekommen.
Jo. führt die Polizei nach Hause zu seinem Bruder.
Dieser hat die Tasche bereits an A. übergeben.
Die Polizei verhaftet darauf hin J. und A.
Z. und I. geben das Geld wieder an die Männer vom Dönerladen zurück.
Gar nicht so unkompliziert das Ganze.
Nun, da die Geschichte fertig geschrieben ist, braucht das Buch natürlich noch ein Titelblatt. Am Ende sollen alle DarstellerInnen ein eigenes Buch mit individuellem Titelblatt mit nach Hause nehmen können. Auch einige weitere Exemplare für Eltern oder Grosseltern sind möglich.
Bis Ende Schuljahr wird noch weiter fleissig fotografiert. Sobald die letzten Fotos gemacht worden sind, wird die Story arrangiert, gedruckt und gebunden. Ende gut, alles gut.
(ash)
Schon vor etwa einem Jahr hat meine Mutter die Idee einer Fotostory an mich herangetragen. Seit vielen Jahren unterrichtet sie die HPS Oberstufenklasse in Ostermundigen in Hauswirtschaft und Handarbeit. Faktisch hat sie aber sehr freie Hand, was sie mit dem 7. bis 9. KlässlerInnen im Unterricht anschauen will.
Meine Antwort auf ihre Idee war: Technisch ist alles möglich.
Die Grenzen lagen also nicht im Design der Fotostory, sondern in der Produktion. Die Fähigkeiten der SchülerInnen der HPS sind sehr unterschiedlich. Darum lag die grösste Herausforderung darin, stets eine gute Balance zu finden. Wir wollten:
- Kein perfektes Endprodukt
- Eine Geschichte, die die SchülerInnen selbst verstehen und nachvollziehen können
- Die SchülerInnen so viel wie möglich selbst machen lassen
- Die Story am Ende in einem Buchformat drucken und jedem Schüler mit nach Hause geben können
- Natürlich wollten wir das Ganze auch pädagogisch wertvoll ohne Mord und Totschlag gestalten
Meine Mutter konnte am besten abschätzen, welche Schüler z.B. besonders gut zeichnen, mit dem Handy fotografieren oder für Fotos glaubhaft posieren können. Diese Fähigkeiten wollten wir nutzen und einbauen. Fotografiert haben die Schüler alles selbst mit ihren Handys. Posieren mussten schlussendlich alle, denn jedes Kind hatte eine eigene Rolle. Gerade das Ausdrücken von Emotienen war für einige nicht ganz leicht und für Teenager sowieso unendlich peinlich.
Meine Mutter war froh, dass ich weiss, wie man die Fotos schon nur hin und her kopieren und schlussendlich auch sehr simpel arrangieren kann. Krasses technisches Know How war nicht wirklich gefragt. Ich habe dagegen gelernt, dass Medienprojekte mit HPS Schülern unglaublich viele Überraschungen bergen. Einige Schüler haben ganz besondere Talente, andere wiederum hatten Mühe, der Story zu folgen.
Am End soll die Fotostory eine Geschichte der HPS SchüerInnen sein und kein poliertes Stück Literatur. Die Story ist zugegebenermassen schon kompliziert genug. Packend ist sie aber auf alle Fälle. Und am Ende kommt alles gut.