Der Tod als Teil des Lebens: Zwei Frauen aus dem Oberwallis begleiten Menschen im Sterben

Menschen bis zum Tod begleiten – diese Aufgabe verrichtet der Oberwalliser Verein für Sterbe- und Trauerbegleitung seit bald einmal 20 Jahren. Eine Geschichte über die Würde des Sterbens.

Es ist morgens um 2 Uhr in einem Dorf im Oberwallis. Die Nacht ist trist, draussen regnet es. In einer Wohnung tritt Sandra Zurbriggen in ein Zimmer. Eine Person liegt im Bett. Sandra Zurbriggen begrüsst die Person, tritt näher und sagt: «Ich bin Sandra. Ich bin jetzt für den Rest der Nacht hier. Wir stehen dies gemeinsam durch.»

Sandra Zurbriggen ist Sterbebegleiterin beim Oberwalliser Verein für Sterbe- und Trauerbegleitung. Sie hält der Person im Bett jetzt die Hand auf die Schulter und nennt die Uhrzeit. Die Person im Bett reagiert nicht mehr. Kein Augenzwinkern, kein Händedruck, kein Laut. Nur ein leises Atmen.

Sandra Zurbriggen war durch ihre Mutter schon immer mit dem Oberwalliser Sterbe- und Trauerverein verbunden. Mittlerweile engagiert sie sich selbst: «Ich hatte schon damals als junge Krankenschwester immer wieder Berührungen mit dem Tod. Das hat mich geprägt, aber im positiven Sinn.» Gemeinsam mit Vereinspräsidentin Caroline Walker Miano organisiert Sandra Zurbriggen die Einsätze des Vereins. Jeweils einen Monat am Stück unterhält sie einen 24-Stunden-Pikettdienst.

Der Oberwalliser Verein für Sterbe- und Trauerbegleitung will sterbende Menschen in ihrer letzten Lebensphase begleiten. Auch die Angehörigen werden unterstützt. Der Verein will dazu beitragen, dass Menschen in Würde sterben können. Die Begleitungen erfolgen ausschliesslich auf Wunsch der Betroffenen und sind unentgeltlich. Die Sterbebegleiterinnen sind an die Schweigepflicht gebunden.

Sandra Zurbriggen sitzt noch immer neben dem Bett. Der Raum ist voller Stille. Die Person im Bett scheint ruhig und entspannt zu schlafen. Nur zwischendurch röchelt oder hustet sie kurz. Sandra Zurbriggen befeuchtet der Person in regelmässigen Zeitabständen den Mund. «Sterbende hören auf zu essen und zu trinken, aufgrund des Flüssigkeitsmangels haben sie häufig einen trockenen Mund und eine trockene Zunge», sagt Zurbriggen.

Sandra Zurbriggen und ihre Helfer werden nur dann gerufen, wenn eine Person sich in der terminalen Endphase ihres Lebens befindet – also wenn der Tod absehbar ist. Spitäler, Alters- und Pflegeheime oder Privatpersonen melden sich bei ihr, wenn eine Person kurz vor dem Sterben liegt. Die Anzahl der Einsätze variiert. Sandra Zurbriggen kann auf tatkräftige Helfer zählen. Rund 30 Personen, darunter drei Männer, leisten ehrenamtliche Nachteinsätze für den Oberwalliser Sterbe- und Trauerverein.

Hanny Summermatter und Sandra Zurbriggen stehen seit mehreren Jahren als Sterbebegleiterinnen im Einsatz.

Hanny Summermatter ist ebenfalls eine der Helferinnen beim Verein Oberwalliser Sterbe- und Trauerbegleitung. Auch sie hatte früh Erfahrungen mit dem Tod gemacht: «Meine Mutter starb, als ich 20 war. Und als mein Vater starb, war ich 30.» Durch eine gute Kollegin, die Sterbebegleiterin ist, kam Hanny Summermatter zum Verein. «Viele Leute haben Angst vor dem Sterben oder sind allein und brauchen jemanden. Ich will nicht, dass diese Menschen dann allein sein müssen.»

So ruhig wie im Raum mit Sandra Zurbriggen ist es nicht immer, wenn man Leute in den Tod begleitet. Hanny Summermatter sagt: «Eine Frau fragte mich einst, ob ich ihr die Geranien giessen könne. Die Geranien hatten es allerdings nicht nötig.»

Sandra Zurbriggen und Hanny Summermatter scheinen eine gesunde Beziehung zum Tod zu haben. Manche Menschen, die im Sterben liegen, denken, der Tod sei furchtbar. Sie fürchten sich. Andere haben ein neutrales Verhältnis zum Tod. Und wiederum andere wollen sogar sterben. Für Sandra Zurbriggen und Hanny Summermatter gehört der Tod einfach zum Leben. Das Verhältnis zum Tod scheint wie die politische Gesinnung: Es gibt kein richtig oder falsch. Jeder Mensch geht anders mit dem Thema um.

Sandra Zurbriggen sagt: «Stirbt die Person, bedanke ich mich innerlich bei ihr. Es ist ein immens demütiger Moment, den man nicht in Worte fassen kann.» Sucht Sandra Zurbriggen trotzdem nach Worten, nennt sie Tiefe, Ruhe und Frieden. «Die Stunden, in denen ein Mensch im Sterben liegt, sind oft nur schwer auszuhalten. Der Moment des Sterbens allerdings ist eine Erlösung vom Leiden. Ein Frieden.» Darin sind sich Hanny Summermatter und Sandra Zurbriggen einig.

Schwieriger werde es, wenn sie jüngere Personen begleiten müssen. «Ich habe das Gefühl, dass junge Menschen anders sterben», erklärt Sandra Zurbriggen. Die Menschen wehrten sich mehr, während ältere Personen ihren Rucksack schon genügend mit Leben gefüllt hätten. «Ältere Menschen haben sich eher mit dem Sterben auseinandergesetzt», sagt Hanny Summermatter. Es sei sehr wichtig, über das Sterben und den Tod zu sprechen.

Blüht das Leben nach dem Tod weiter? Die Auferstehung ist für Christen der Urgrund ihres Glaubens.

Im Zimmer, wo Sandra Zurbriggen noch immer am Bett wacht, wird es langsam heller, es wird langsam Tag. Seit vier Stunden begleitet Sandra Zurbriggen die Person im Bett. Es ist noch immer leise. Und die Person atmet immer noch.

Sandra Zurbriggen und Hanny Summermatter können die Geschehnisse und Erfahrungen, die sie als Sterbebegleiterinnen machen, gut verarbeiten und ablegen. Sie können auch beide gut schlafen. Vielmehr seien sie dankbar, dass sie helfen könnten. Sandra Zurbriggen sagt: «Bin ich dabei, wenn ein Mensch stirbt, spüre ich eine Dankbarkeit. Dann gehe ich nach Hause, zünde eine Kerze an und lege mich schlafen.»

Drei Tage nach dem Einsatz von Sandra Zurbriggen ist die Person in den Abendstunden friedlich eingeschlafen. Für immer.

Podcast – wieso will man Menschen in den Tod begleiten? Ein Gespräch mit zwei Sterbebegleiterinnen.

(dbo)

Idee und Motivation
Über eine Person in meinem Umfeld habe ich schon oft vom Oberwalliser Verein für Sterbe- und Trauerbegleitung gehört. Der Verein war bislang vor allem in seiner Organisation und Struktur in den Medien. Noch nie begleitete jemand die Arbeit der Sterbebegleiter und berichtete darüber. Dies wollte ich ändern.

Konzeption und Umsetzung
Die Idee stand, ein Audiobeitrag sowie ein Zeitungsartikel für den Karfreitag zu produzieren. Der Karfreitag ist der Tag, an dem Christen dem Leiden und Sterben Jesus Christus gedenken. Es brauchte verschiedene Vorbereitungsgespräche, damit ich die Chance erhielt, eine Sterbebegleiterin zu begleiten. Die Sterbebegleitung bringt eine ständige Flexibilität mit sich. Das Sterben ist nicht planbar. Deswegen war ich auf Abruf und konnte jederzeit ein Telefon erhalten, dass ich die Sterbebegleiterin in ein paar wenigen Stunden begleiten werde. Die Schwierigkeit bestand darin, die Geschichte schlussendlich so erzählen zu können, dass man den Persönlichkeitsschutz der sterbenden Person zu jederzeit gewährleisten konnte. Nach der Sterbebegleitung hatte ich einen Eindruck, wie die Frauen arbeiten. Nun wollte ich noch ihre Meinung abholen. Ich verabredete mich mit Ihnen zum Gespräch. Für Fotos musste ich auf symbolische Metaphern setzen. Das Kreuz steht in Lalden und der blühende Baum in Eyholz.

Learning und Fazit
Der Audiobeitrag kommt in der Ich-Form gut daher. Da ich die Geschichte dem Hörer erzähle, wirkt dies authentisch und stimmig. Beim schirftlichen habe ich dies zuerst auch versucht. Die Ich-Form wirkte aber schriftlich falsch. Die Geschichte wurde nämlich nicht von mir erzählt sondern vom Leser gelesen. Deshalb bin ich im Text ausgewichen auf eine Aussensicht und einen auktorialen Erzähler, während im Audiobeitrag die persönliche Meinung von mir in der Ich-Form stärker zum Tragen kommt.