Familienbande

Als mir meine Oma damals verstaubte Fotoalben zeigte, wünschte ich mir immer, dass sich diese Bilder wie bei Harry Potter bewegen würden. Denn mit den statischen Fotos vor meinen Augen fiel es mir immer schwer abzuschätzen, um was für einen Typ Mensch es sich auf der Abbildung handeln könnte.

Die Frage, woher wir kommen und wer unsere Vorfahren sind, wird die Menschheit vermutlich fortwährend begleiten. Ich fand es immer spannend, darüber zu philosophieren, wie sich dies mit der kontinuierlichen Digitalisierung in Zukunft verhalten wird. Wir werden unseren Enkelkindern keine körnigen Schwarz-Weiss-Alben mehr präsentieren (es sei denn wir fotografieren hobbymässig noch analog) und besitzen sogar alle, dank unserer Smartphones, die Möglichkeit, Bewegtbilder herzustellen.

Im April besuchte ich zusammen mit meiner Familie meine Schwester, die für ein halbes Jahr durch Südamerika reist. Dies nahm ich zum Anlass, ein dokumentarisches Portrait meiner Familie zu produzieren – ungeschönt und authentisch. Da ich vermutlich den Major «Videoformate Nonfiktional» wählen werde, sah ich diese Reise als perfekte Gelegenheit, um entsprechende Erfahrung zu sammeln. In dieser Produktion ging es mir nicht darum, meine Familie als fehlerfrei zu inszenieren, sondern mit all den Eigenarten, die jede Familie individuell und liebenswert macht. Eigenarten, die man normalerweise nicht nach aussen Preis gibt und sich auf keinem Familienfoto ablesen lassen können. In dieser Dokumentation geht es mir deshalb nicht primär um das Land, in welches wir reisten. Getreu nach dem Motto: Länder und Sehenswürdigkeiten kann man googeln, wie die eigene Familie oder Freunde vor 20 Jahren ausgesehen haben, jedoch nicht.

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(dbo)

Produktion

Für mich war es ein etwas anderes Ferienerlebnis, denn ich musste die ganze Zeit wachsam sein, die Kamera ständig griffbereit haben. Wir verbrachten zwei Wochen in diesem fernen Land und anstatt die Szenerie zu geniessen, fragte ich mich ständig, ob dieser und jener Eindruck es nun Wert waren, gefilmt zu werden. So filmte ich jeden Tag stundenlang, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Eigentlich hätte ich die ganze Zeit die Kamera laufen lassen müssen. Denn um ein authentisches Bild einzufangen, konnte ich meine Protagonisten nicht auffordern, Sätze zu wiederholen. Aus Gründen der Selbstironie habe ich gewisse Passagen reingeschnitten, in welchen ich dies versuchte und dabei kläglich gescheitert bin. Das Stellte generell die grösste Herausforderung der Produktion dar. Ich hatte praktisch nie die Gelegenheit Aufnahmen zu wiederholen. Entweder war ich schnell genug, oder die Situation war verpasst. Landschaftsaufnahmen hier ausgenommen.

Die Dokumentation filmte ich mit meiner Sony A7 III und dem 24-70mm 2.8 G-Master und an wenigen Stellen mit einem Ronin-S Gimbal. Ich schreibe ausdrücklich «an wenigen Stellen», denn ein Gimbal irritiert Passanten um ein vielfaches, als eine simple Fotokamera. So filmte ich praktisch alles aus der Hand und  nur mit dem integrierten Mikrofon meiner Kamera. Ich belichtete ausnahmslos alle Aufnahmen manuell und die Schärfe teilweise ebenfalls. Der automatische Bildstabilisator meiner Kamera taugt nicht wirklich was und so konnte ich einige Aufnahmen später kompostieren. Auch das integrierte Mikrofon zu verwenden, bereute ich mit der Zeit. Aber für eine «One-Woman-Show» finde ich vor allem die Bildaufnahmen gelungen und ein aufgesetztes Mikrofon hätte auch wieder für Verunsicherung bei Zivilisten gesorgt. So konnte ich, mehr oder weniger inkognito, als Fototourist diese Doku drehen.

Postproduktion

Da es sich um eine Dokumentation handelt, in welcher ich nicht wusste, was mich erwarten würde, ging es vor allem darum, aus diesen hunderten Einzelclips eine Geschichte zusammenzutragen. Ich habe bisher noch nie ein so langes Video geschnitten. Was mir half, war, alles in Sequenzen zu unterteilen und diese dann puzzlemässig zusammen zu setzte. Das grösste Probleme hatte ich schlussendlich wirklich mit dem Audio. Ich habe etliche Stunden damit verbracht, die Audiospuren dieser fast 400 Clips so zu verbinden, dass Hörer sie flüssig wahrnehmen werden. Teilweise arbeitete ich mit bis zu fünf Audiospuren, um Zusammenhänge zwischen Clips zu gewährleisten. Dies erreichte ich unter anderem mit Hilfe der Musikdatenbank Artlist. Dort fand ich immer passende Hintergrundgeräusche und noch viel wichtiger, tolle Musik. Denn ursprünglich filmte ich viele Strassenkünstler, durfte diese Aufnahmen aber dann aus Urheberrechtsgründen nicht verwenden. Wegen Copyrightbestimmungen konnte ich auch viele Dialoge nicht verwenden, da im Hintergrund oft Radio lief.

Learnigns

Falls ich eine nächste Doku drehen sollte, muss ich mir unbedingt mehr Gedanken zum Thema Audio machen und mindestens ein Aufnahmegerät dabei haben. Zudem habe ich mich viel zu fest auf schöne Aufnahmen fokussiert und Unterhaltungen, die zur Erzählung beigetragen hätten, vernachlässigt. Denn die Bilder können noch so schön sein, ohne ein Storytelling sind sie für eine Dokumentation wertlos. Ich hätte die Kamera viel öfters oder früher laufen lassen sollen, auch wenn Einstellung noch nicht perfekt geframet waren. Grundsätzlich, habe ich mir das Projekt einfacher vorgestellt, als es war. Vor allem die Urheberrechtsbestimmungen zogen mir einen grossen Strich durch die Rechnung. Was das anbelangt, habe ich sehr viel dazugelernt.

Fazit

Das Projekt hat mir überaus Spass gemacht. Es nahm mir meine utopischen Illusionen, was die Produktion einer Dokumentation anbelangt, welche ich zu Beginn völlig unterschätzt hatte. Falls ich wieder einmal etwas in dieser Form drehen sollte, muss ich mich um eine Kamera mit besserem Bildstabilisator und ein Audioaufnahmegerät kümmern. Die ausgedehnte Auseinandersetzung mit dem Thema Copyright wird mir in Zukunft sehr nützlich sein.