Joel – ein junger Landwirt und seine Motivation

Joel - ein junger Landwirt und seine Motivation

Wenig Freizeit, harte Arbeit und hoher Druck von allen Seiten: Immer mehr Schweizer Höfe müssen unter anderem wegen fehlenden Nachfolgern aufgegeben. Was motiviert einen jungen Menschen in der Landwirtschaft zu arbeiten? Der 19-jährige Joel lebt und arbeitet auf einem Kälberaufzuchtbetrieb in Graubünden – und wusste schon früh, was er vom Leben möchte.

Hier geht’s zur Reportage und zum Buch.

(mou)

Joel – Ein junger Landwirt und seine Motivation 

Idee

Als ich mein Auslandssemester in Chur begonnen habe, ist mir aufgefallen, wie verwurzelt Milchprodukte in der Schweiz sind. Anders als in dem Studentenviertel in Hannover, in dem ich wie viele meiner Freunde nur noch Hafermilch trank, ist in meinem Leben in Chur Milch ein normaler Bestandteil. Ich bin in Norddeutschland aufgewachsen, in Niedersachsen, bekannt für Massentierhaltung Ställe und mein Bild von der Landwirtschaft im Bezug auf Tiere war geprägt von Bildern von engen Ställen und schlechten Haltungsbedingungen, durchzogen von Schlagzeilen über Selbstmorde unter Bauern und sterbenden Höfen. Ein Kampf zwischen Tierschützern und sinkenden Milchpreisen. Mich hat interessiert, wie die Situation in der Schweiz ist und wie ein normaler Arbeitstag in Graubünden aussieht. Zudem wollte ich wissen, was junge Menschen der “Generation Z” motiviert, in landwirtschaftlichen Berufen, entfernt der Stadt zu arbeiten.
Mein gewähltes Medium ist die Fotografie – die Sprache, in der ich mich am besten ausdrücken kann. Deshalb hatte ich die Idee, eine Fotoreportage über einen jungen Menschen in der Landwirtschaft zu machen. Die textliche Ebene wollte ich über ein Interview mit hineinbringen. 

Ich will mit meinen Bildern die Situation der Landwirtschaft in der Schweiz nicht romantisieren – doch war ich schon überrascht, wie viel Platz die Tiere auf einem Hof ohne Bio-Standard in den Bergen haben und wie persönlich die Beziehung zwischen Tieren und Mensch doch ist. 

Ziel

Um meinen Protagonisten Joel zu zitieren: „Für mich war die Landwirtschaft immer wichtig. Ich sah es schon immer so: Jemand muss Essen produzieren.“ Fotojournalismus hat die Kraft, eine Geschichte von Menschen zu erzählen und ihren Alltag ein Stück zu zeigen. Unsere Ernährung betrifft uns alle. Ich möchte mit meinem Projekt Menschen mehr zum Nachdenken anregen, wo unsere Lebensmittel herkommen und wer dafür verantwortlich ist, dass diese überhaupt produziert werden. Hinter jedem tierischen Produkt, in jeder Milchtüte steckte einmal ein Lebewesen und auch ein Mensch hinter, der diese Tiere in der Verantwortung hatte. Diese Verantwortung ist hoch – und wird zu recht häufig kritisiert. Doch ich möchte deutlich machen, dass man sich häufiger auch Gedanken machen sollte, in welche Situation wir die Produzenten bringen wollen, in diesem Fall die Landwirte und welche Sorgen und Probleme ihren Alltag bestimmen. 

Vorgehen und Umsetzung

Die Idee ein Fotoprojekt über junge Menschen in der Landwirtschaft zu machen kam mir zu Beginn des Auslandssemesters und ich hatte von Beginn an mit Kühen zu tun. So fing es mit meinem Job als Fotografin bei der Olma an und weckte mein Interesse für die Landwirtschaft in Graubünden. Zuerst wollte ich gerne unterschiedliche Jugendliche porträtieren und fragte dafür landwirtschaftliche Ausbildungsstätten in Chur an. Leider erhielt ich keine Antwort. An einem Sonntag fuhr ich mit einer Freundin zum Alp Spektakel nach Grüsch, eine Veranstaltung, wo Kühe und Kälber gekürt wurden und es verschiedene Stände mit hausgemachten Produkten von Landwirten der Region gab. Dort fragte ich mich etwas durch und suchte nach möglichen Protagonistinnen. Joel fiel mir sehr schnell ins Auge, hatte er doch auf der einen Seite noch etwas sehr Jugendliches, auf der anderen Seite eine grosse Überzeugung und Ernsthaftigkeit in allem was er tat. Ich fragte ihn nach seinem Instagram-Account und schrieb ihm kurze Zeit später eine Projektbeschreibung. Er sagte zu und ich entschied mich, mich vorerst auf ihn zu konzentrieren und erst einmal ihn besser kennenzulernen. Im Anschluss arbeitete ich das Interview aus. 

Umsetzung

Mit dem Zug um fünf fuhr ich von Chur los, Joel holte mich vom Bahnhof ab und gemeinsam fuhren wir zum Hof Zabuggi in der Nähe von Grüsch. Noch im Dunkeln waren Joels Chef und sein Schwiegersohn bereits am Melken. Auf dem Gelände durfte ich mich komplett frei bewegen. Der Schwiegersohn wollte nicht fotografiert werden, was ich natürlich aktzeptierte. Ich machte Fotos und einige Audioaufnahmen. Insgesamt war ich bis ca halb acht da, habe noch geholfen die Kälber zu streicheln und durfte neben dem Fotografieren auch viel mit den Tieren kuscheln und mit dem Chef sprechen, der mich durch seine herzliche Art und die harte Arbeit, die er seit sechs Jahrzehnten macht sehr beeindruckt hat. 

Interview

Nach dem Mittagessen, zu dem ich eingeladen wurde, machten Joel und ich ein Interview. Er erzählte mir von seinem Alltag, seiner Motivation und warum er eine bestimmte Landmaschiene besonders gerne fuhr und andere nicht. Mir war es wichtig, nicht nur mich durch die Fotos sprechen zu lassen, sondern Joel durch das Interview auch eine eigene Stimme zu geben. Das Interview habe ich transkribiert und ins reine geschrieben.

Fotos

Meine Fotos habe ich als klassische Reportage fotografiert, eine Mischung aus Portraits, Situationen und Details. Dabei habe ich auch einige abstraktere Bilder fotografiert (z.B. Milch, oder Gülle die auf die Felder fliegt). Mir war es wichtig, dass einige Bilder Platz für eigene Gefühle und Gedanken geben und dann die Geschichte in anderen Bildern wieder konkret erzählt wird. 

Buch

Als Präsentation für meine Bilder und das Interview habe ich ein Buch gestaltet. Darin soll die Geschichte gezeigt und mit Interview Teilen und Zitaten ergänzt werden. Das Layout habe ich schlicht gehalten und unterschiedliche Vorlagen für unterschiedliche Bildformate und Platzierungen erstellt. Wichtig waren mir auch großflächige Bilder über beide Seiten. Das Büchlein soll in A5 gedruckt werden und insgesamt einen hochwertigen Eindruck machen. Ein Projekt, dass man sich gerne nochmal in Ruhe anguckt, gedruckt auf einem etwas festeren matten Papier. Man hätte ebenfalls gut eine Scrollytelling Website machen können – allerdings habe ich davon bereits zwei gemacht und ich wollte gerne mal etwas Neues machen und hatte schon lange den Wunsch, mal ein kleines Büchlein zu gestalten.

Cover 

Eine besondere Herausforderung war für mich das Cover. Ich wollte nicht einfach ein Foto als Cover nehmen, sondern wollte dem Buch eine kreative und persönliche Note geben, die neugierig macht. Dafür habe ich mich für eine abstrakte Darstellung der Bündner Bergwelt entschieden, in der sich auch Joels Charakter widerspiegelt. So meinte er selbst, er könnte sich nicht vorstellen, im Flachland zu arbeiten, es würde ihn langweilen. Ich habe Packpapier genommen (als Bezug für eine einfache Verpackung von Lebensmitteln) und mit einem Pinsel grob darübergemalt. Im Anschluss habe ich daraus ein Panorama gerissen und eine schwache Sonne ergänzt, die mich an den trüben, aber hellen Tag erinnerte, den ich bei Joel hatte. Die Typografie ist eine Mischung aus einer Serifenschrift und einer serifenlosen Schrift. Insgesamt habe ich drei Cover Versionen erstellt, da ich mich nicht entscheiden konnte. 

Weiterführung

Ich führe die Zusammenarbeit mit Joel weiter und werde ihn im Januar noch einmal bei seinen Eltern auf dem Hof besuchen. Wie es danach weitergeht weiss ich noch nicht, vermutlich würde ich versuchen die Bilder zu verkaufen an eine Redaktion.

Learnings

Eins meiner größten Learnings war tatsächlich unabhängig vom Projekt die Kreislaufwirtschaft, die entsteht, wenn Tiere auf der Weide gehalten werden und kein zusätzliches Futter gekauft werden muss. Auf das Projekt bezogen habe ich etwas lange überlegt, was ich neben Fotos noch alles machen möchte, was mich unnötig Zeit und Energie gekostet hat. Nächstes Mal sollte ich mir früher darüber im Klaren sein. Zudem war ich mit meinem Equipment nicht ganz zufrieden, da mir ein wichtiges Objektiv fehlte.

Selbstkritik

Insgesamt bin ich mit den Bildern zufrieden, für den kurzen Zeitraum. Trotzdem denke ich , es wäre immer besser, noch mehr Zeit mit dem Protagonisten zu verbringen und sehe meine Bilder eher als Anfang eines Projektes als eine wirklich fertige Arbeit. Es fehlen noch einige Aspekte, um Joels Leben wirklich zu zeigen und Fotografie ist immer nur ein kleiner Ausschnitt. Zudem denke ich, es wäre besser gewesen, mit einer schreibenden Person zusammen am Projekt zu arbeiten, die eine ganze Reportage mit viel mehr Eindrücken hätte schreiben können. Das ist nicht meine Hauptqualifikation und beides gleichzeitig zu machen, führt meiner Meinung nach dazu, dass das Projekt an Qualität leidet. Ich hätte gerne eine Reportage geschrieben, ich habe aber gemerkt dass ich dafür vor Ort den Fokus in meiner Wahrnehmung zu sehr auf der Fotografie hatte.