Raum für Alle: Ein Gleichstellungsprojekt
Hast du dich auf dem Heimweg schon einmal unwohl gefühlt? Verfolgt, verunsichert oder verängstigt? Wirst du am Abend von unguten Gedanken und Ängsten geplagt? Dann bist du nicht allein.
«Hört mich jemand, wenn ich schreie oder um Hilfe rufe?», «Trage ich die richtigen Schuhe, um schnell weglaufen zu können?» und «Mit welcher Erlaubnis haben Männer das Gefühl, uns Frauen das antun zu dürfen?». Das sind nur einige der Gedanken und Ängste von fünf Frauen, die im Rahmen von «Raum für Alle» vertont und auf ihrem Heimweg begleitet wurden. Genau auf diese Gedanken wollen wir aufmerksam machen. Wir wollen es nicht mehr hinnehmen, dass der Heimweg von vielen Menschen von Angst und herausfordernden Bewältigungsstrategien geprägt ist. «Raum für Alle» setzt da an, wo Diskriminierung zur Normalität geworden ist. Wir setzten uns als Plattform und Anlaufstelle für einen sicheren öffentlichen Raum für Alle ein.
Wir haben keinen Bock mehr
Im Jahr 2020 konnten in Basel-Stadt nur 58 der 97 Fälle von sexueller Belästigung aufgeklärt werden und schweizweit kennen 64 Prozent aller Frauen mindestens jemanden, der schon einmal sexuell belästigt wurde. Und auch wir spüren, wie die Angst vor Belästigung uns und unser Umfeld lähmt. Es handelt sich um eine Angst, mit der viele von uns täglich zu kämpfen haben und es sind Gedanken, die wir als normal ansehen. Dabei sollte es nicht normal sein, gewisse Orte in der Stadt zu meiden. Es sollte nicht normal sein, aus Angst zuhause zu bleiben, sich eine Strategie für den Heimweg auszudenken oder mit dem Schlüssel in der Hand zur Haustüre zu rennen. Wir wollen es nicht hinnehmen, dass diese Ängste das Leben vieler Menschen kontrollieren. Dass schon kleinen Mädchen gesagt wird, was sie nicht anziehen oder tun darf, damit ihr nichts passiert, ist überholt. Wir wollen das Bewusstsein für die Problematik steigern und darauf aufmerksam machen, dass ordentliche Prävention geleistet werden muss, und zwar da, wo die Ursache liegt: Entgegen der Opferseite! «Raum für Alle» gibt jenen Personen eine Stimme und einen Raum, die den öffentlichen Raum nicht mit einem Gefühl von Sicherheit und als gleichgestellte Bürger:innen nutzen können.
Wer sind diese Frauen?
Fünf Frauen wurden abends verkabelt und auf verschiedenen Routen durch Basel-Stadt begleitet. Sie teilen damit ihre Gedanken und Ängste mit ihrer Umgebung, um auf das Thema Belästigung aufmerksam zu machen. Sie haben sich dazu bereiterklärt, authentisch ihre Erfahrungen zu teilen und als Aushängeschild für das Projekt unter anderem auf diversen Plakaten in der Stadt Basel zu sehen zu sein.
Gesucht und gefunden haben wir die Frauen in unserem persönlichen Umfeld. Da wir unter anderem durch Gespräche mit Freund:innen noch mehr auf die Problematik aufmerksam wurden, fühlte es sich am Natürlichsten an, direkt dort anzusetzen. Es war uns zu jeder Zeit bewusst, dass es sich um ein sehr sensibles und intimes Thema handelt, bei dem viele Personen keine Aussagen machen wollen. Dennoch fanden wir fünf mutige Frauen, die genau wie wir, keinen Bock mehr auf diese Ängste haben. Wichtig war uns immer, Authentizität zu gewähren. So verkabelten wir auch Frauen, die nach eigener Aussage keine Angst in Basel haben, um nicht nur eine Seite der Medaille aufzuzeigen. Spannend zu sehen war jedoch, wie sich leider auch diese Frauen während den Aufnahmen eingestehen mussten, dass sie sich in Basel nur sicher fühlen, weil sie es sich so einrichten und gewisse Bewältigungsstrategien anwenden. So war dieses Experiment auch für sie ein einschneidendes Erlebnis. Die Tonaufnahmen und ihre darauf laut ausgesprochen Gedanken zu hören, weckte Emotionen in den Frauen, denen sie sich nicht unbedingt bewusst waren.
Auf unserer Website www.raumfueralle.ch sind alle Tonaufnahmen zu finden.
Zusätzlich sind auf der Website Portraits über die jeweiligen Frauen zu finden. Wir befragten sie zu Themen über Belästigung, Politik oder auch Gleichberechtigung. Hier ein Beispiel über Adina, die eine Route beim Badischen Bahnhof abgelaufen ist.
Wie geht es weiter?
«Raum für Alle» ist ein Herzensprojekt. Wir haben nächtelang daran gearbeitet, weil es uns ein grosses Anliegen ist, dass die Problematik die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient. Wir sind uns laufend am weiterentwickeln und haben einige Pläne für die Zukunft: Eine Stadtführung durch Basel, an der unsere Tonaufnahmen gemeinsam angehört werden können oder weiteren, multimedial aufbereiteten Content zum Thema. Es ist eine spannende Zeit für uns und wir werden weiter arbeiten, um gemeinsam ein Stück Stadt zurückzuerobern.
Uns haben viele positive Rückmeldungen erreicht, die leider zeigen: Es gibt viele Menschen, die sich mit der Problematik und unseren Tonaufnahmen identifizieren können. Die Rückmeldungen, die uns erreichen, freuen uns und es ist toll zu sehen, wie die Menschen daran interessiert sind, sich gemeinsam für einen sicheren öffentlichen Raum einzusetzen. Die Welt braucht schliesslich Aktivismus. So waren wir mit unserem Projekt am 5. Juni 2021 in den Telebasel News, am 7. Juni in der bz Basel und am 8. Juni bei 20 Minuten zu sehen und haben auch dort wiederholt bemerkt, wie wichtig es den Menschen ist, dieses Thema anzusprechen.
Auch auf Instagram sind wir unterwegs und vernetzen uns fleissig. Wir hoffen, unsere Community noch weiter ausbauen zu können, um so den Gemeinschaftsgedanken zu fördern und Bewusstsein zu schaffen.
(ash)
Die Idee
Wir hatten es satt. Wir hatten es satt, in schlaflosen Nächten, nicht einfach um den Block gehen zu können. Wir hatten es satt, zeitintensive Umwege nehmen zu müssen, oder gar gewisse Orte komplett zu vermeiden. Wir hatten keinen Bock mehr.
Öffentlicher Raum in der Schweiz muss den Anspruch haben, der Bevölkerung ein Sicherheitsgefühl vermitteln zu können. Tatsache ist, dass das nur auf bestimmte Gesellschaftsgruppen zutrifft. Besonders Frauen scheinen diesbezüglich in einer diskriminierten Position. Ihr Heimweg ist geprägt von Ängsten, unguten Gefühlen und herausfordernden Bewältigungsstrategien. Aus dieser Grundthese entstand die Idee: Wir möchten versuchen, an die Gedanken und Ängste heranzukommen, die so alltäglich sind. Wir möchten uns einsetzen für eine gleichberechtigtere Gesellschaft.
Inspiriert vom aktuellen Aktivismus in der Bevölkerung haben wir ein erstes Konzept geschrieben. Stunden damit verbracht zu recherchieren: Was bedeutet überhaupt Gleichberechtigung? Was sind wichtige Stakeholder? Wen wollen wir erreichen? Ein komplexes und vielschichtiges Thema bedarf einer sauberen Einarbeitung ins Thema.
Was haben wir gemacht und wie haben wir es gemacht?
Das Projekt «Raum für Alle» setzt da an, wo Diskriminierung zur Normalität geworden ist. Es soll aufgezeigt werden, dass die Lösungsansätze von beteiligten Stakeholder:innen oft darauf abzielen, diese Missstände nicht bei der Ursache zu greifen, sondern bei der Wirkung. Um dieses Missverhältnis aufzuzeigen, wurden fünf Frauen darum gebeten, ihre Gedanken auf dem Heimweg festzuhalten. Auf den abgelaufenen Routen sind Plakate aufgehängt, welche mit einem QR-Code versehen sind. Nach dem Einscannen der QR-Codes wird die genaue Route ersichtlich, und der Weg kann mit der Tonaufnahme in Echtzeit abgelaufen werden.
Um einer Dramatisierung entgegenwirken zu können haben wir auch Frauen gebeten mitzumachen, die sich nach eigener Aussage nachts sicher fühlen. Spannend im Prozess zu sehen war, dass selbst jene bei den Aufnahmen die Strassenseite wechselten oder in dunklen Gassen schneller gingen. Wir fühlten uns bestätigt: Das Problem ist bereits so alltäglich geworden, dass wir, selbst wenn wir das Gefühl haben keine Angst zu haben, unser Unterbewusstsein auf diese Bewältigungsstrategien zurückgreift.
Was hat es sonst gebraucht?
Fotos und Tonaufnahmen
An den Abenden, an denen wir die fünf Frauen vertont haben, hatten wir auch eine Kamera im Gepäck. Zusätzlich wurden Portraitfotos gemacht. Nach den zeitintensiven Ton- und Fotoaufnahmen folgte die Bearbeitung der Dateien (noch nicht stilistisch). Einfache Korrekturen wurden in Audition und Photoshop vorgenommen. Für die Audiodateien haben wir ein Konzept geschrieben:
Wen wollen wir damit ansprechen? Schnell wurde klar: Nicht nur Frauen! Das Problem ist breiter als das Geschlecht. Allerdings sind die Ziele unterschiedliche: Betroffenen wollen wir einen Safespace vermitteln, bei der Verwaltung und der Stadt Awareness für das Problem schaffen und Kritik äussern. Deshalb haben wir in regelmässigen Abständen Besprechungen abgehalten bezüglich Tonalität des Projekts. Sind wir authentisch genug? Gehen wir das Thema sensibel genug an (auch für die Betroffenen?).
Damit die Audiodateien nicht langweilen, haben wir zusätzlich alle Polizeimeldungen in Baselstadt herausgesucht und alle thematisch passenden archiviert. Wir haben eine befreundete Radiosprecherin darum gebeten, diese einzulesen. Danach haben wir sie an passenden Stellen im Audio eingespielt.
Website und Wireframes
Aus dem Prozess kristallierte sich schnell heraus: Es braucht eine Website. Zuerst wurden Wireframes gezeichnet und anschliessend eine AdobeXD Vorlage kreiert. Auf dem aufbauend wurde eine html-Grundlage erarbeitet und über das Semester ausgearbeitet.
Erklärvideo
Um unser Projekt nicht nur deskriptiv wiedergeben zu können haben wir ein Erklärstück angefertigt. Dass wir es schwarz-weiss gemacht haben wurde strategisch entschieden: Im Projekt soll es nicht um uns gehen. Wir sind die Macher im Hintergrund aber die Stimme gehört allen Betroffenen. Das wollten wir mit einer feinen Bildsprache visualisieren.
Poster und Stickers
Anhand der Fotos die wir bei den Tonaufnahmen gemacht haben, wurden Poster designed. Auch hier kamen Überlegungen ins Spiel wie: Decken wir die Bedürfnisse der Frauen die mitgemacht haben? Wir wollten sie nicht an den Pranger stellen und entschieden uns, wie beim Erklärvideo, für schwarz-weiss. Unser Logo haben wir um eine zusätzliche «Verundeutlichung» der Gesichter darüber gelegt. Schlicht aber kraftvoll war die Maxime. In einem zweiten Schritt haben wir Stickers entworfen nach den im Styleguide definierten Farben und mit einem Hashtag.
Brand Design
Herausfordernd war das erarbeiten eines stringenten „Corporate Designs“. Auch hier war zielführend: Sich immer wieder aufs Neue fragen „Spreche ich meine Zielgruppe an?“ „Kommt die Botschaft klar rüber?“ und vor allem „Decken wir die Bedürfnisse?“. Besonders beim letzterem haben wir nach einem bereits fertig ausgearbeiteten Online-Auftritts: Nein, wir decken die Bedürfnisse nicht. Das Design war zu repetitiv und liess vorallem für die Zukunft wenig Spielraum für neuen Content (z.B hatten wir ausschliesslich mit Illustrationen gearbeitet. Es wäre sehr herausfordernd gewesen, wenn nicht sogar unmöglich, zu einem späteren Zeitpunkt Fotografien oder Videos miteinzubringen). Wir liessen von der alten Idee los, und haben das komplette Design nochmal neu erarbeitet. Schlussendlich kam das dabei raus:
Zum Styleguide gehts hier.
Social Media
Einen Fokus wurde auf Instagram gelegt. Wieso nicht Facebook oder Linkedin? Weil sich
- Unsere Zielgruppe auf diesen Plattformen nicht (oder kaum) aufhält und wenn sie es tun, dabei nicht interaktiv sind und andere Bedürfnisse haben.
- Wenn die These von Punkt 1 sich bewahrheitet, scheint es Ressourcenverschwendend, angemessenen Content für diese Plattformen zu kreieren, um dabei 20 Likes auf Facebook generieren zu können.
Fazit: Wir haben uns demnach auf Instagram fokussiert und dort viel Zeit für Content investiert. Wir haben mit dem Online gehen des Projekts so lange gewartet, bis wir uns sicher waren: Wir haben genug Material um einen spannenden, abwechslungsreichen Kanal bespielen zu können. Konkret waren das:
15 vorgefertige Storys
30 vorgefertige Posts
4 vorgefertige Highlights
8 vorgefertige Videosnippets
Was jetzt vielleicht unflexibel klingen mag, wurde in der Planung miteinbezogen: Von Anfang an war uns klar, dass wir vielleicht gewisse Dinge schlussendlich trotzdem nicht posten werden oder aktuellere Posts (die man nicht im vorherein anfertigen kann) sich besser eignen werden. Und es hat sich bewahrheitet: Die Mischung macht es aus! An manchen Tagen waren wir froh, auf Archivmaterial von uns zurückgreifen zu können und an anderen Tagen haben wir aktuelle Tagesereignisse gepostet. Dennoch ziehen wir daraus: Es ist besser auf etwas zurückgreifen zu können, anstatt einen „halb-geführten“ Instagramkanal ohne Ziel. Ein Excel Sheet um die Posts zu planen hat uns geholfen klar zu stellen, wer wann was postet.
P.S: Sich niemals davor scheuen, seine Ideen über den Haufen zu werfen und nochmals von vorne Anfangen und dabei nach Inputs fragen. Das ist der halbe Weg. Das sieht man auch an diesem Beispiel.
Im Prozess
Die Gesprächsrunden, in denen wir uns über das Thema unterhalten haben, uns Artikel dazu geschickt haben oder Studien gelesen und darüber diskutiert haben waren für das Projekt die nährreichsten Phasen. Retrospektiv war das wahrscheinlich auch der wichtigste Teil am ganzen Prozess und hat uns am meisten weitergebracht. Zusätzlich hat uns eine gute Arbeitsteilung geholfen, effizient arbeiten zu können: Wir waren beide reflektiert über unsere Stärken und Schwächen und konnten diese von Anfang an im Team kommunizieren und Tasks dementsprechend verteilen! Kritik wurde angehört und in den meisten Fällen auch angenommen. War dem nicht so, konnte darüber gesprochen werden und ein Kompromiss gefunden werden. Wir haben uns im Prozess auch wiederholt selber gelobt: Nicht wegen dem Ergebnis, sondern wegen der Zusammenarbeit. Das hat zusätzlich motiviert und gefördert, dass Kritik gut angenommen wurde.
Was für uns im Prozess zusätzlich von grosser Bedeutung war und weitergebracht hat ist das aktive Fragen nach Inputs und Anregungen. Wir haben unsere Social Media Vorbilder (Anna Rosenwasser, Philip Meier, Gleichstellung BS) angeschrieben und sie ehrlich um Feedback gebeten. Alle haben reagiert und konnten uns einen anderen Blickwinkel ermöglichen. Das führte z.B dazu, dass wir durch Anna Rosenwasser erneut unsere Ziele angeschaut haben und diese konkreter ausformulierten.
Ferner war eine gute Vorbereitung auf mögliche Hate-Kommentare sehr wichtig. Das Thema ist sensibel, die Reaktionen emotionsvoll. Leider hatten wir das beim Online gehen nicht besprochen und wurden prompt von einer negativen Stimme überrumpelt. Aber auch hier hat sich bestätigt: Hilfe zu suchen ist in Ordnung. Wir haben unserem Dozenten geschrieben und beim Coaching darüber gesprochen. Gemeinsam eine Richtlinie erarbeitet und uns diesem Problem gestellt.
Fazit
Kurz und knackig: Wenn du dein Herzprojekt gefunden hast, scheust du keine Sekunde davor, jede freie Minute dafür zu verwenden. Und ja, das haben wir ehrlich getan.