Ride with me

550 Gramm Metall bewegt sich 10’000 Mal pro Minute hoch und runter. Benzin wird angesaugt, verdichtet, gezündet und als Abgase ausgestossen. Und ich werde gemütlich mit 80 km/h durch die Landschaft kutschiert und kann die Schönheit der an mir vorbeifliegenden Landschaften geniessen. Wie würde es aussehen, wenn ich mein eigener Beifahrer wäre und dabei unmögliche Perspektiven hätte? Die perfekte Gelegenheit, eine Insta360 One X2 auszuprobieren.

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Als im April mal wieder ein regenfreies Wochenende in Aussicht war, fragte ich Marlon, ob ich seine 360°-Kamera ausleihen darf. Nachdem die anfängliche Skepsis über die Befestigung am Motorrad durch einige How-to-Videos von ähnlichen Vorhaben beseitigt wurde, bestellte ich eine Halterung. Dann musste ich nur noch die Kamera abholen, den Helm anziehen und schon konnte es losgehen. «Ganz easy», dachte ich mir. Einfach die Kamera grob ausrichten und filmen. Bis auf einen kleinen Herzinfarkt, als der Druck des Windes das Schraubgewinde löste (das Gewinde war zum Glück lange genug und es ist nichts davongeflogen), ging alles wunderbar und schon fast zu einfach.

Diese Euphorie reichte bis an den PC, als mir klar wurde, dass es doch nicht so easy wird. Stitchen, exportieren, importieren, Proxies erstellen, schneiden, Keyframes generieren, den Look bestimmen: ein ganz schöner Krampf für ein eher klein angesetztes Projekt. Zum Glück gibt es Tutorials über den 360°-Workflow wie Sand am Meer. Und nach einigen langen Sessions im Schnitt hatte ich dann das Ergebnis in schwarz-weiss vor mir: Ein kleines Ausfährtchen an einem bewölkten Nachmittag im April. Let’s go!

Zwei der vier Befestigungen mit der Clamp

Von den anderen beiden Positionen habe ich leider kein Bild. Für eine Aufnahme war die Kamera an der Fussraste für die Sozia/den Sozius befestigt, für die andere an der Verstärkung des Lenkers, was auch eine witzige Perspektive ist, bei der man alles im Blick hat – auch den Tacho. 😉

Produktion

Wie bereits erwähnt war das eigentliche Filmen sehr einfach. Ich musste nur darauf achten, dass die Naht, welche durch die separaten Bilder entsteht, nicht auf nahe und sich schnell bewegende Objekte fällt. Die Kamera stellte ich auf die höchste Auflösung, 5.7k, ein, um ein brauchbares Bild für 1080p zu erhalten. Den Rest erledigte die Kamera für mich, mit Verschlusszeit, Weissabgleich und ISO musste ich mich nicht beschäftigen. Good to know: die 32GB der Speicherkarte reicht für etwa eine Stunde filmen. Mich hat es bei diesem Projekt zum Glück nicht beeinträchtigt. 

Mit der Halterung von smallrig bin ich sehr zufrieden. Für den unschlagbaren Preis bekommt man ein wirklich wertiges Produkt, dem man auch eine etwa 5x teurere Kamera anvertraut. Ich werde sie in Zukunft auf jeden Fall für weitere 360°-Projekte oder als Halterung für eine GoPro oder auch ein kleines LED-Panel einsetzen. 

Die Route an diesem Tag bin ich bereits mehrere Male gefahren, es ist eine Abkürzung zwischen Utzigen und Oberburg im Emmental. Kurvig, nicht zu schnell und fast kein Verkehr. Solche Abschnitte fahre ich viel lieber als die grossen Schweizer Pässe, bei denen man sich mit einem eher schwach motorisierten Fahrzeug wie ein Verkehrshindernis vorkommt.

Post-Produktion

Aus den niedlichen 27 GB dieses Tages wurden nachdem ich die vier Files im Insta360 Studio gestitcht und in ProRes 422 für die beste Qualität gerendert habe, satte 269 GB. Das hat unter anderem damit zu tun, dass ProRes zwar riesige Dateien schreibt, die aber auch bei hoher Auflösung ohne Ruckler in Premiere Pro geschnitten werden können. Gut für meine CPU, schlecht für meine SSD. 

Die Musik habe ich bereits etwas früher ausgesucht. Für die Exhaust-Note habe ich auf ein Soundfile von einem früheren Digezz-Projekt zurückgreifen können. Damals hatte ich ein Zoom H4 in einem kleinen Rucksack mitgenommen. Da dieses Projekt eher spontan entstand, konnte ich das leider nicht auch noch machen. Dann die besten Stellen in diesen vier Clips (ca. eine Stunde Material) habe ich markiert und mittels Keyframes in Premiere animiert. Am Anfang und ohne wirkliche Routine ist es sehr mühselig, doch wenn man es ein paar Stunden gemacht hat gehts ganz flott. Dann habe ich noch präzise auf den Beat geschnitten, einige trendy Transitions eingefügt, den Look in Photoshop erstellt und per CUBE-LUT exportiert. Der B&W-Look war eigentlich gar nicht beabsichtigt, ich konnte mich einfach nicht auf einen Look in Farbe festlegen – schaut gar nicht so schlecht aus finde ich. Und fertig ist der kleine Töff-Film. Die besten Export-Settings zu finden war auch nicht ganz einfach, auch dort habe ich mir auf YouTube entsprechend Hilfe gesucht. 

Learnings

  • Das Gewinde der Halterung doppelt und dreifach kontrollieren und wenn eine Verbindung über längere Zeit nicht gelöst werden muss, mit Schraubensicherungslack sichern.
  • Schon vor einem Shoot überlegen, was man genau filmen will. Es ist sehr mühsam, dann in der Post das ganze Material nach den besten Stellen zu sichten, weil man einfach «alles zur Sicherheit» haben wollte. 
  • Die Post-Produktion geht viel länger als erwartet. Besonders dann, wenn man keine Ahnung von einem funktionierenden und effizienten Workflow hat. 
  • Gutes und viel Licht ist der Schlüssel zu guten 360°-Videos. In meinem Fall hatte ich Glück, da zwar die Sonne schien, es aber trotzdem stark bewölkt war. Wäre die Wolkenschicht dicker oder tiefer gewesen, hätte das Bild viel stärker gerauscht. Die kleinen Sensoren können gar kein Low-Light ab. 
  • Sound ist bei 360°-Content auch sehr wichtig, da die eingebauten Mikrofone wie auch bei anderen Kameras nicht allzu gut sind. Und da nicht einfach ein Shotgun-Mic angeschlossen werden kann, muss der Sound zwingend extern aufgenommen werden. 
  • Nicht zu grosses Risiko eingehen. Extreme Befestigungen sind zwar cool und geben geile Bilder, trotzdem sollte man es nicht übertreiben und immer an die eigene und die Sicherheit anderer denken. Vor Allem beim Motorrad- oder Autofahren. 

Wie weiter?

Die Aufnahmen sind alle mit fest montierter Kamera entstanden. Auch der Abstand zwischen der Kamera, mir und dem Motorrad ist durch den kurzen Magic Arm sehr beschränkt. Im Sommer werde ich auch jeden Fall noch ausprobieren, wie es mit einem «Invisible Selfie Stick» aussieht. Dann schwebt die Kamera hinter einem her, als wäre man in einem 3rd-Person-Spiel. Eine witzige Idee wie ich finde. Auch spannend wäre es, mit Freunden in einer Gruppe zu fahren und sich so gegenseitig zu filmen. Damit käme noch mehr Abwechslung ins Spiel, was den langen und manchmal monotonen Aufnahmen sicher nicht schaden würde. Zum Glück hält das gute Wetter die nächste Zeit noch an.