Whispered – Voices of a Lost Place
«Sound is what truly convinces the mind is in a place, in other words hearing is believing» – Jesse Schell, The Art of Game Design
Geräusche begleiten jede Sekunde unseres Alltags und gehen dabei gerne etwas unter. Erst wenn man darauf achtet, wird einem bewusst, wie viel Geräusche ausmachen. Sie tragen zum Bild bei, bauen einen Raum um uns herum auf. Genau so funktioniert auch das Sounddesign in der Filmwelt.
Einen Ort mit Hilfe von einer Geräuschkulisse zum Leben erwecken und dabei eine Geschichte erzählen, die vollkommen im Ton spielt – das war unser Ziel.
Das Sanatorio del Gottardo
Schnell war ein Schauplatz gefunden, der uns beide unglaublich faszinierte. Es handelt sich dabei um das Sanatorio del Gottardo in Quinto, im Tessin. Rund 57 Jahre lang wurde das Gebäude als Medizinische Einrichtung genutzt. Zuerst als Militärspital, später als Tuberkuloseklinik. In den frühen Sechzigerjahren wurde sie aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Eigentlich sollte es zu einem Wintersportzentrum umgebaut werden. Trotz Baubewilligung haben die Bauarbeiten noch nicht gestartet. Heute gilt das Sanatorio del Gottardo als Lost Place.
Das Betreten ist verboten. Das Gebäude gilt als unsicher und einsturzgefährdet. Auf Youtube gibt es jedoch zahlreiche Videos vom Sanatorio. Unter anderem von Leuten, die die Nacht dort verbracht haben.
Deshalb machten wir uns im Oktober doch auf den Weg ins Tessin. Unsere Nerven lagen blank, als wir in dem kleinen Dorf ankamen. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, parkierten wir etwas weiter unten und gingen am Sanatorio vorbei, um dann von oben her zuzulaufen. Kein Schild hielt uns auf. Der Durchgang war frei.
Wir erkundeten also das Sanatorio del Gottardo mit der Kamera. Das Ganze war schon ziemlich unheimlich. Als wir plötzlich Stimmen hörten, blieb uns beiden wohl kurz die Luft weg – glücklicherweise waren es ebenfalls einige Lost Place Touristen.
Tuberkulose über die Jahre
Neben dem Schauplatz gehörte aber natürlich auch die Geschichte dazu. Dafür haben wir uns in die Recherche gestürzt und einiges über Tuberkulose zusammengetragen.
Ohne Behandlung verläuft eine aktive Tuberkulose in mehreren Stadien mit zunehmender Schwere. Zu Beginn treten Symptome wie Husten, Fieber, Nachtschweiss, Müdigkeit und Gewichtsverlust auf, während das Immunsystem versucht, die Infektion einzudämmen. Im weiteren Verlauf verschlechtert sich der Zustand, der Husten wird chronisch und produktiv, häufig begleitet von blutigem Auswurf. Die Lunge wird zunehmend geschädigt, was zu Atemnot führt, und die Betroffenen bleiben hoch ansteckend.
Wenn die Krankheit weiter fortschreitet, können sich die Bakterien über den Blutkreislauf im ganzen Körper ausbreiten und andere Organe wie Leber, Milz, Knochen, Wirbelsäule oder das Gehirn befallen. Dies führt zu vielfältigen zusätzlichen Symptomen, die von Knochenschmerzen bis zu neurologischen Ausfällen reichen. Gleichzeitig wird das Immunsystem immer stärker geschwächt, was zu schwerem Gewichtsverlust, Muskelabbau und einem erhöhten Risiko für Sekundärinfektionen wie bakterielle Lungenentzündungen oder Pilzinfektionen führt.
Im Endstadium sind die Organschäden so gravierend, dass Atemversagen oder Multiorganversagen auftreten, oft in Verbindung mit zusätzlichen Infektionen. Der Krankheitsverlauf zieht sich über Monate bis Jahre hin, ist mit grossem Leiden verbunden und endet schliesslich tödlich.
Marias Geschichte
Uns ging es jedoch nicht nur darum, einen Lost Place Vlog oder eine Tuberkulose-Dokumentation zu erstellen. Wir wollten eine Geschichte erzählen. So erfanden wir die 20-jährige Maria Valentini, die Patientin in der Tuberkuloseklinik war – und dort ihr Ende fand. Wie wir unsere Vorstellung umgesetzt haben, seht ihr hier:
Wem das fertige Produkt etwas zu gruselig (oder wackelig) ist, dem haben wir hier noch einige Bilder:
(eli)
Das Projekt war für uns sicherlich eine spannende Erfahrung. Die Verbindung von historischem Hintergrund und das Herantasten an die Welt des Sounds stellte uns vor einige Herausforderungen.
Recherche und Vorbereitung
Die Grundlage für das Projekt war eine Recherche. Wir haben uns eingehend mit der Geschichte der Tuberkulose als Krankheit und ihrer Behandlung beschäftigt, um ein authentisches Bild von Marias Lebensumständen zu zeichnen. Ebenso haben wir uns über das Sanatorio del Gottardo informiert. Mit dieser Vorbereitung wollten wir sicherstellen, dass wir ein möglichst authentisches Bild schaffen können.
Skriptentwicklung
Dann ging es ans Schreiben. Marias Charakter entstand aus unserer Vorstellung einer jungen Frau, die mit Hoffnung in die Klinik kam, aber letztlich an den schwierigen Bedingungen und ihrer Krankheit zerbrach.
Als Rahmen für die Geschichte haben wir uns an die Theorie von Elisabeth Kübler-Ross gehalten, welche sich mit den 5 Phasen des Sterbens beschäftigt.
Diese entwickelte nach Gesprächen und Beobachtungen mit Sterbenden ein Modell mit fünf Phasen des Sterbens. Diese Phasen sind nicht linear und individuell verschieden, bieten jedoch Angehörigen und Pflegenden Orientierung im Umgang mit Sterbenden. Auch Angehörige können diese Phasen durchleben.
- Nicht-Wahrhaben-Wollen: Schock und Verleugnung als Schutzmechanismus der Psyche. Angehörige sollten abwarten und Wünsche respektieren.
- Zorn: Emotionen wie Wut und Schuldzuweisungen treten auf. Diese sind Teil des Prozesses und nicht persönlich gemeint.
- Verhandeln: Betroffene suchen nach Wegen, ihr Schicksal zu ändern, z.B. durch Verhandlungen mit Ärzten oder Gott. Hoffnung sollte unterstützt, aber nicht unrealistisch genährt werden.
- Depression: Die Akzeptanz des Todes führt zu Trauer über Verluste. Zuhören ist in dieser Phase wichtiger als Trösten.
- Akzeptanz: Ruhe und Rückzug bestimmen diese Phase. Stille Begleitung und kleine Gesten sind hilfreich.
Das Modell dient als Orientierung, denn jeder Mensch stirbt auf seine Weise.
Wir haben uns bemüht, ihre Geschichte emotional, aber auch respektvoll darzustellen. Hierbei war uns wichtig, eine Balance zwischen Realität und Fiktion zu finden. Ganz einfach war es nicht, dem Zuschauer die schwere Botschaft mitzugeben.
Dreh und Herausforderungen
Die Planung verlief reibungslos – bis auf eine entscheidende Sache: Wir hatten beim Dreh das Licht vergessen. Während das zunächst wie ein gravierender Fehler erschien, hat es letztlich zur Stimmung des Films beigetragen. Die natürliche Dunkelheit und die begrenzte Beleuchtung verstärkten den Gruselfaktor und machten die Szenerie noch eindringlicher. Trotzdem: Ein nächstes Mal bleibt das Licht nicht mehr zu Hause liegen.
Ein zweiter Dreh war uns aber zeitlich und ressourcetechnisch nicht mehr möglich, weshalb wir schliesslich mit dem Bildmaterial arbeiten mussten, welches wir hatten. Wackelig und dunkel beschreibt es relativ gut. Wir hatten uns wohl etwas zu sehr darauf fokussiert, dass wir beim Dreh das Timing für unseren Text gut im Griff hatten und dadurch einige andere Dinge vernachlässigt. Jedoch ging es uns beim Projekt primär um die Tonebene, womit wir das Endprodukt noch retten konnten.
Sounddesign und Aufnahme
Das Sounddesign war eine der grössten Herausforderungen. Hat ein Geist Hall in der Stimme, weil er den Hall des Raumes verstärkt oder ist das die Natur von Gespenstern? Wie hört sich eigentlich ein Krankenhaus an und wie schaffen wirs, dass der Zuschauer die Realität, die Vergangenheit und den Geist unterscheiden kann? Diese, zugegebenermassen skurrilen Fragen, sind nur wenige Beispiele der Gedanken, die wir uns im Prozess machten.
Unsere Idee, die Geschichte vollständig über Geräusche und Erzählung zu transportieren, war nicht ganz einfach und erforderte Audition-Kenntnisse. Die Geräusche mussten realistisch wirken und gleichzeitig die Stimmung verstärken. Das Selberaufnehmen der Töne war mühsam und erforderte mehrfaches Experimentieren – unser Highlight: Das Zerschmettern von Tassen und Teller, um Marias Wut darzustellen. Besonders herausfordernd war es aber, die richtigen Umgebungsgeräusche zu finden und aufzunehmen, die den morbiden Charme des Sanatoriums widerspiegeln.
Die Arbeit mit Adobe Audition war zunächst eine Hürde, aber wir haben uns schnell eingearbeitet und die Software schliesslich erfolgreich genutzt, um die Tonspuren zu schneiden, zu mischen und die Atmosphäre gezielt zu gestalten.
Fazit
Trotz kleiner, und grösserer, Pannen während des Drehs und den anfänglichen Schwierigkeiten beim Sounddesign ist das Projekt ein Erfolg. Fehler, wie das fehlende Licht, haben wir kreativ genutzt, und sie erwiesen sich als Bereicherung für die Erzählung.
Dieses Projekt hat uns gezeigt, wie wichtig Flexibilität, Kreativität und technische Kompetenz sind, und hat uns nicht nur filmisch, sondern auch persönlich wachsen lassen. Marias Geschichte im Sanatorio del Gottardo wird uns sicher noch lange begleiten – als Erinnerung an ein aussergewöhnliches Projekt.