Wurzeln in der Fremde – Die autobiografische Aufarbeitung von Kindheitstraumata

Überblick über Thesis und Lehrprojekt

Die Anzahl der Adoptionen in der Schweiz ist seit 1980 kontinuierlich rückläufig. 1995, im Jahr meiner Adoption, waren es 1030 Menschen, die in die Schweiz adoptiert wurden. Im Jahr 2022 sank diese Zahl auf 442 Personen. Gemäss Bundesamt für Statistik erklärt sich dieser Rückgang durch Gesetzesänderungen zum Schutze des Kindes, die Abnahme unerwünschter Schwangerschaften sowie die verbesserte Akzeptanz lediger Mütter in der Gesellschaft. Dennoch verbindet sich mit jeder Adoption, die persönliche Geschichte mehrerer Menschen, die als Familie zusammenwachsen müssen. Diese Erfahrungen sind dann prägend für ein ganzes Leben.

So auch in meinem Fall: Im Januar 1995 war ich drei Wochen alt, als mich meine Eltern im Libanon das erste Mal in die Arme schliessen konnten. Zwei Wochen später adoptierten sie mich in die Schweiz. Da mir ein Teil meiner Herkunft fehlt, begleitet mich das Gefühl von Wurzellosigkeit seit vielen Jahren. Um meine Geschichte zu erzählen und auch mit anderen zu sprechen, die ebenfalls adoptiert sind, habe ich das Projekt: Wurzeln in der Fremde – Ein Storytelling-Podcast Projekt über Familie, Heimat und Adoption gestartet. Hier erzählen wir unsere Geschichten.

Ähnlich wie bei der Auseinandersetzung mit Adoptionen in der Kindheit gibt es viele Menschen, die öffentlich über ihre Kindheitserlebnisse gesprochen und diese aufgearbeitet haben. In der Thesis ging ich der Frage nach, inwiefern die eigene Aufarbeitung eines Traumas durch mediale Darstellungsformen bei dessen Verarbeitung hilft? Dies untersuchte ich am Beispiel von Menschen, die unterschiedliche Arten von Trauma erlebt haben.

Beide Projekte sind miteinander verbunden, da sie den Schwerpunkt auf die individuelle Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, die Bedeutung der persönlichen Stimme in diesem Kontext sowie der Relevanz medialer Darstellungsformen in der Traumaverarbeitung legen.

Methodik

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden qualitative Interview mit Autoren und Autorinnen geführt, welche alle autobiografische Texte über ihre Kindheitstraumata veröffentlicht haben. Die Autoren und Autorinnen stammen aus Deutschland und der Schweiz und decken eine Bandbreite an unterschiedlichen traumatischen Erlebnissen in der Kindheit ab. Zusätzlich wurden zwei Expertinneninterviews geführt, um die Ergebnisse objektiv zu hinterfragen und einzuordnen. Eine Expertin ist als Journalistin tätig und leitet die „Early Childhood Reporting Initiative“ am Dart Center für Journalismus und Trauma. Ein Projekt der Columbia University, das Journalisten und Journalistinnen dabei helfen soll, sich über Traumata zu informieren und sich bewusster zu machen, was Traumata sind, aber auch, wie man über Kinder berichtet und, insbesondere, wie Traumata mit dem sich entwickelnden Gehirn interagieren. Die zweite Expertin ist klinische Psychologin aus New York und arbeitet seit 25 Jahren auf dem Gebiet der Traumatologie.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass die mediale Aufarbeitung von Trauma durch autobiografische Texte eine wertvolle Methode zur Verarbeitung traumatischer Erlebnisse sein kann. Sie bietet durch den Schreibprozess zahlreiche Chancen für die persönliche Heilung. Das Veröffentlichen von persönlichen Geschichten birgt jedoch auch erhebliche Risiken, die sorgfältig abgewogen werde müssen. An dieser Stelle ist anzumerken, dass sowohl Autoren und Autorinnen wie auch die Expertinnen sich einig waren, dass persönliche Traumageschichten geteilt werden sollten. Des Weiteren ist das Potenzial zur Sensibilisierung sowie Veränderung in der Gesellschaft gross, wenn beim Thema Trauma mehr Aufklärungsarbeit für Medienschaffende betrieben werden würde. Die Zusammenarbeit mit Verlagen und Medien sollte darauf abzielen, die Geschichten der Betroffenen authentisch und respektvoll zu vermitteln, um den Heilungsprozess zu unterstützen und gleichzeitig ein breiteres Bewusstsein für die Auswirkungen von Trauma zu schaffen.