Der berüchtigte Mundschutz



In Europa werden Uhren, Taschen und Schmuck getragen – in Japan ist es der Mundschutz, der die Menschen dekorierend schmückt. Scherz beiseite, so ganz ohne Grund tragen die Japaner die sogenannten „surgicalmasks“ natürlich nicht.

Nach subjektiver Einschätzung, ist es rund ein Drittel der Bevölkerung, der mit diesem Trend mitzieht. Schon nach den ersten paar Schritten auf japanischem Territorium, um genau zu sein noch am Flughafen in Tokyo, erregten die Mundschütze mein Aufsehen. Mit jeder Minute, in der ich mich in diesem Land befand, wurde ich neugieriger und wollte dem Grund für das Aufsetzen eines Mundschutzes auf die Schliche kommen.
Sind es hygienische Gründe – die Angst von anderen Menschen mit einer Krankheit angesteckt werden zu können oder selbst andere anzustecken? Ist es die verschmutzte Luft in Tokyo, die den Leuten Sorge bereitet? Oder gibt es anderes darunter zu verstecken? Jedes Mal wunderte ich mich, wie die Person wohl ohne diesen Mundschutz ausgesehen hätte. Des Weiteren kam die Frage auf, wie wohl ein Date mit Mundschutz tragenden Japanern ablaufen würde? Aufgrund ihrer zurückhaltenden Art und ihrer mangelnden Englischkenntnisse, stellte es sich als schwierig heraus, mit ihnen zu kommunizieren. Folglich musste ich mich mit einem anderen Lösungsweg zufrieden geben: mich hinsetzen und beobachten.
Im Nachhinein kann ich sagen, dass das reine Beobachten keine schlechte Alternative war. Im Gegenteil, es entpuppte sich als eine spannende Arbeitstechnik.
In der U-Bahn, wo man sich enger und dichter an Menschen befindet, tragen überdurchschnittlich viele Japaner einen Mundschutz. Lachen, reden oder lesen – alles kein Problem damit. Zum Teil wird der Mundschutz aber ausgezogen, weggelegt und kurz vor dem Einsteigen in die U-Bahn wieder aufgesetzt.
Im Restaurant wird er natürlich zur Seite gelegt und nach dem Speisen wieder aufgespannt. Klein und gross, dick und dünn, jung und alt – alle tragen ihn! In den Läden findet man eine unglaubliche Varietät an verschiedenen Mundschutzmarken im Angebot. Ich will nicht versuchen auszurechnen, welche Unsummen an Geld die Maskenindustrie mit dieser Gepflogenheit einnimmt.

Nun ja, kommen wir zu den ursprünglichen Beweggründen zurück: die Recherche besagt, dass der gewebte Stoff des Mundschutzes bloss minimalen Schutz gegen externe Viren in der Öffentlichkeit bietet. Der meist ausschlaggebende Grund ist daher vielmehr die vorbeugende Nutzung, andere nicht anzustecken. Sprich, die Mundschutzträger sind daher nach Theorie erkältete, kranke oder infizierte Leute, die sich aus Höflichkeit gegenüber ihren Mitmenschen dazu entscheiden, eine Gesichtsmaske zu tragen.
Das Mundschutz-Phänomen ist in Japan jedoch nichts Neues. Als Anfang des 20. Jahrhunderts eine massive Grippen Pandemie mehr Leute als im WW1 wegraffte, etablierten sich die Gesichtsmasken zu einem wichtigen Schutz in Japan. Seither hat sich dieses Verhalten gefestigt und besteht bis heute weiter. Die Gesichtsmasken werden in Japan besonders in den Wintermonaten getragen, aus dem sozialen und höflichen Gedanken, die eigenen Viren und Bakterien nicht auf andere zu übertragen.
Gemäss Studien entwickelten sich die Masken für japanische Jugendliche sogar als eine Art Ausweg, um dem täglichen sozialen Leben zu entwischen. Absolut gesunde Teens tragen demnach die Masken als ein Signal für andere, nicht kommunizieren zu wollen oder in Ruhe gelassen zu werden. Das trifft besonders auf junge Frauen zu, die versuchen, jegliche Belästigung in öffentlichen Verkehrsmittel zu vermeiden. Denn etwas kann die Maske absolut: jemanden mit einer gewissen Anonymität versorgen.







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Ann Ziegler